Henrik Oster, Lübeck, 08.04.2021              

Prof. Dr. Henrik Oster leitet das Institut für Neurobiologie der Universätität zu Lübeck

Guter und ausreichend langer Schlaf verlängert das Leben, stärkt das Immunsystem und fördert die Leistungsfähigkeit. Wer schlecht durch- oder einschläft fühlt sich nicht nur unwohl, sondern setzt seinen Körper chronischem Stress aus. Schlafexperte und Direktor des Instituts für Neurobiologie der Universität zu Lübeck Prof. Dr. Henrik Oster erklärt, wie Schlaf und biologische Uhren im Körper zusammenhängen, und gibt praktische Tipps, wie Sie eine erholsame Nachtruhe finden.

Schlaf – Ein Drittel unseres Lebens

Schlaf ist eine nachgewiesen (über-)lebenswichtige Funktion, auch wenn wir immer noch nicht wirklich wissen, warum wir eigentlich schlafen müssen. Wir Menschen verbringen fast ein Drittel unserer Lebenszeit damit, und wenn wir auch nur einmal eine einzige Nacht keinen Schlaf finden, beeinträchtigt uns das sofort und enorm in unserer Lebensqualität. Lange dachte man, dass nur hochentwickelte Lebewesen wie die Säugetiere schlafen. Inzwischen wissen wir: Alle Tiere schlafen – vom Menschen über Insekten bis hin zu Fadenwürmern. Die meisten tun das regelmäßig, oft in einem Rhythmus von 24 h. Hier kommt die Chronobiologie ins Spiel.

Chronobiologie – Wie die innere Uhr Schlaf und andere Körperfunktionen beeinflusst

Die Chronobiologie ist eine Unterdisziplin der Biologie, die sich mit periodisch wiederkehrenden Funktionen in Lebewesen beschäftigt – quasi die Biologie der Zeit (von χρόνος – griechisch für „Zeit“). Eine Spielart der Chronobiologie beschäftigt sich dabei mit den zirkadianen Rhythmen (von circa diem – lateinisch für „um den Tag herum“), also solchen Funktionen, die sich mit einer Periode von 24 h rhythmisch wiederholen. Der menschliche Schlaf ist ein solcher zirkadianer Rhythmus, aber viele andere Funktionen unseres Körpers – von der Hormonausschüttung über die Immunabwehr bis hin zur Zellteilung – zeigen ebenfalls solche zirkadianen Rhythmen. Chronobiologen untersuchen, wie diese Rhythmen gesteuert werden und wie sie dazu beitragen, den Organismus an seine Umwelt optimal anzupassen.

Dabei zeigt sich: Die allermeisten dieser Rhythmen sind nicht einfach eine Reaktion auf sich ändernde Umweltbedingungen wie der tägliche Wechsel von Licht und Dunkel. Tatsächlich verfügt unser Körper über einen eigenen inneren Zeitmesser – die zirkadiane Uhr – der dafür sorgt, dass z.B. der Schlaf-Wachrhythmus auch unter konstanten Umweltbedingungen zuverlässig mit einer 24h-Rhythmik weiterläuft. Nun, tatsächlich ist die Periode der inneren Uhr nicht ganz genau 24 h – daher auch das „circa“ in „zirkadian“. In aufwendigen Laborexperimenten am Max-Planck-Institut im bayerischen Andechs-Seewiesen wurden in den 1960er Jahren die individuellen Rhythmusperioden freiwilliger Probanden unter Isolationsbedingungen, d.h. ohne den Einfluss äußerer Tagesrhythmen, vermessen. Dabei zeigte sich, dass die inneren Uhren der meisten Menschen etwas langsamer als 24 h ticken – im Schnitt bei 24,5-25 h pro Zyklus. Diese innere Rhythmik passt sich aber unter normalen (also rhythmischen) Umweltbedingungen mühelos an den natürlichen 24h-Tag-Nachtrhythmus an. Auch bei einigen seltenen Formen der Blindheit lässt sich dieses Phänomen der individuellen Rhythmusperiode beobachten: Die Patienten können innere und äußere Zeit nicht mehr vernünftig in Einklang bringen. Sie folgen stattdessen ihrem eigenen, meist langsameren, inneren Rhythmus. Die Medizin nennt das passenderweise „Non-24“. Die Patienten sind an einigen Tagen gut adaptiert, an anderen völlig aus der Spur. Die Augen und das Licht spielen also eine wichtige Rolle in der Chronobiologie.

Zurück zum Schlaf! Aus chronobiologischer Sicht ist der Schlaf eine Unterfunktion der zirkadianen Uhr. Beim Menschen sorgt letztere dafür, dass wir primär in der Nacht und konsolidiert, d.h. weitgehend in einem Stück, schlafen. Dies erreicht die Uhr über die Steuerung einer ganzen Reihe von rhythmischen Körperfunktionen. Wichtige zirkadiane Rhythmen für einen gesunden und erholsamen Schlaf sind der Licht-Dunkel- und der Körpertemperatur-Zyklus sowie die Ausschüttung der beiden Körperhormone Melatonin und Cortisol. Die Stabilität dieser Rhythmen und ihre korrekte Lage zueinander sind Grundvoraussetzung für einen gesunden und erholsamen Schlaf.

Der Zeitgeber Licht – Lichtzufuhr der Tageszeit anpassen

Wie oben bereits erwähnt ist Licht der wichtigste Zeitfaktor (der Fachbegriff ist „Zeitgeber“) für die zirkadiane Uhr. Weit effizienter als alle anderen Zeitgeber sorgt das Licht dafür, dass innere und äußere Zeit normalerweise gut zusammenlaufen. Über die tägliche Portion Licht wird die etwas langsamere innere Uhr mit der äußeren Zeit synchronisiert.  Unter normalen Umständen passiert dies ganz automatisch und ohne dass wir etwas davon bemerken. Wenn beide Uhrzeiten aber mal stärker auseinanderlaufen, z.B. wenn wir auf Reisen in andere Zeitzonen fliegen, braucht es oft mehrere Tage, bis wieder Synchronizität herrscht. Das nennt man „Jetlag“. Die Symptome sind neben Störungen im Schlaf-Wachrhythmus Konzentrations- und Stimmungsschwankungen und Probleme mit der Verdauung. Viel Licht am Zielort sorgt dafür, dass der Jetlag schneller überwunden wird. Dabei ist insbesondere blaues Licht, also Licht mit einer kurzen Wellenlänge, wichtig für das Einstellen der inneren Uhr. Das Sonnenlicht enthält sehr viel solches Blaulicht in seinem Spektrum. Es ist deshalb meist weit effektiver als künstliches Licht bei der Uhrensynchronisation. Im Alltag kann es zu einer besonderen Form des Jetlags, dem „sozialen“ Jetlag kommen. Hierbei handelt es sich um eine durch gesellschaftliche Normen bedingte Verschiebung der zirkadianen Rhythmik gegen die eigene innere Uhr. Dies ist insbesondere bei Schichtarbeit der Fall, aber auch schon frühe Arbeits- und Schulzeiten können einen solchen sozialen Jetlag auslösen.

Im Hinblick auf den Schlaf sollte man deshalb eine gewisse Lichthygiene beachten: Tagsüber (besonders am Morgen) möglichst viel, abends und besonders nachts möglichst wenig (blaues) Licht. So erhält die innere Uhr ein verlässliches und starkes Zeitsignal und kann den Schlafrhythmus stabil ansteuern. Sollte man abends doch einmal länger Licht benötigen, empfiehlt sich der Einsatz von Blaulichtfiltern oder -brillen. Nachts kann eine Rotlichtquelle für Orientierung sorgen, ohne die innere Uhr zu beeinträchtigen.

Temperatur – Kein Essen und Sport zwei Stunden vor Bettruhe, Schlafzimmer eher kühl halten

Die zirkadiane Uhr ist „temperaturkompensiert“, d.h. sie läuft mit gleicher Geschwindigkeit unabhängig von der Umgebungstemperatur. Allerdings hat unser Körper ja seinen eigenen Temperaturzyklus – mit einem Maximum am Abend und einem Minimum am frühen Morgen gegen 4 Uhr. Dieser Rhythmus der Körpertemperatur ist ein innerer Zeitgeber für zirkadiane Uhren in den Geweben und Organen des Körpers. Insbesondere der Zeitpunkt, an dem die Temperatur ihr Maximum erreicht, um dann im Verlaufe der Nacht abzunehmen, ist ein wichtiger Orientierungspunkt für den Schlaf: Nur wenn das Maximum durchschritten ist, können wir richtig einschlafen. Das erklärt auch, warum man abends nicht mehr allzu viel essen sollte. Die Nahrungsaufnahme und die anschließende Verdauung erzeugt Wärme. Diese Wärme verzögert das Abfallen der Körpertemperatur und erschwert so das Einschlafen.

Körpertemperatur im Tagesverlauf

Auch intensiven Sport sollte man spät am Abend nicht mehr treiben. Muskelarbeit erhöht ebenfalls die Körperwärme. Dieser Effekt bleibt auch noch einige Zeit nach der eigentlichen Anstrengung erhalten. Zudem erhöht körperliche Betätigung das Stresshormon Cortisol (s.u.), was ebenfalls den Schlaf negativ beeinflusst. Für ein gutes Einschlafen empfehlen sich abendliche Routinen. Die letzte Mahlzeit sollte ca. 2 h vor der Bettruhe abgeschlossen sein. Danach besser kein Sport mehr, allenfalls eine langsame Runde um den Block. Auch stressreduzierende Aktivitäten wie Lesen – besser ein Buch als Handy oder Tablet, wegen des Blaulichts – oder Meditation können die Temperaturrhythmik positiv beeinflussen. Ein kühles, aber nicht kaltes Schlafzimmer und das richtige Bettzeug – nicht zu warm, nicht zu kalt, möglichst trocken – wirken sich ebenfalls positiv auf den Temperaturrhythmus aus.

Melatonin – Das Schlafhormon wird besonders durch blaues Licht unterdrückt

Das Melatonin ist ein Hormon der Zirbeldrüse (oder Epiphyse). Es wird nur nachts und im Dunkeln ausgeschüttet und ist ein wichtiges zirkadianes Zeitsignal für den Körper und für die Einleitung der Schlafphase. Je älter wir werden, desto weniger Melatonin produziert unsere Zirbeldrüse. Das trägt wahrscheinlich dazu bei, dass auch gesunde Senioren nachts häufiger wach werden als junge Erwachsene. Ihr Schlaf ist weniger konsolidiert. Der wichtigste Einflussfaktor für das Melatonin ist das Licht. Es gelten deshalb die gleichen Empfehlungen wie für die Lichthygiene.

Struktur des Melatonins

Besonders zu beachten ist, dass der Melatoninspiegel im Blut schon nach wenigen Minuten Lichtexposition in der Nacht stark abnimmt. Auch hier ist blaues Licht deutlich effektiver als rotes. Generell sollte die Lichtexposition nachts deshalb minimiert werden. Falls nötig, sollte eher langwelliges (i.e. rotes) Licht verwendet werden.

Melatonin gibt es auch in Tablettenform und als Drink. Regelmäßig am Abend eingenommen, kann es positiv auf das Ein- und Durchschlafen wirken. Zu beachten ist hier: Melatonin ist kein klassisches Schlafmittel. Es wirkt nicht so sehr akut, sondern vor allem über seinen Effekt auf die zirkadianen Rhythmen. Deshalb muss das Medikament einige Tage bis Wochen eingenommen werden, ehe es seine volle Wirkung entfalten kann. In Deutschland und vielen anderen Ländern ist Melatonin ab einer gewissen Konzentration verschreibungspflichtig. Körpereigene Hormone sollten auch nicht unkontrolliert und in Eigenregie eingesetzt werden, da sie immer auch Nebenwirkungen haben. Sprechen Sie im Bedarfsfall deshalb vorher mit Ihrem Arzt!

Cortisol – Das Stresshormon lässt uns aufwachen

Cortisol ist ein Steroidhormon. Es wird in der Nebenniere gebildet und hat zahlreiche Wirkungen auf das Immunsystem, den Stoffwechsel und die Gehirnfunktion. Neben dem Adrenalin ist es ein wichtiger Wirkstoff der Stressreaktion. In einer akuten Stresssituation wird innerhalb weniger Minuten die Ausschüttung von Cortisol aktiviert. Es sorgt dann dafür, dass der Körper Energie für die sog. Fight-or-flight-Reaktion („Kampf oder Flucht“) bereitstellt. Ohne Cortisol kann unser Körper in Stresssituationen nicht vernünftig funktionieren. Wird der Stress chronisch, nehmen immer mehr die Gehirneffekte des Cortisols zu. Hier sorgt das Cortisol für Änderungen in der emotionalen Verarbeitung von Signalen. Dauerhaft zu viel Cortisol kann zur Entwicklung von Depressionen und dem berüchtigten Burnout beitragen. Auch ohne Stress produziert die Nebenniere Cortisol – und zwar vor allem morgens. Hier ist der Anstieg des Cortisolspiegels wichtig, um von der Schlaf- wieder in die Wachphase zu gelangen und den Körper auf den Tag vorzubereiten. Diese zirkadiane, nicht stress-bedingte Cortisolrhythmik ist ein wichtiger Zeitgeber der zirkadianen Uhren und Rhythmen.

Für eine Stabilisierung des Cortisolrhythmus sollte man besonders chronischen und wiederkehrenden Stress vermeiden. Insbesondere in den Abendstunden kann Stress das Einschlafen effektiv verhindern. Sport (s.o.) am Abend ist ebenfalls Stress für den Körper. Bei Anstrengung schießt der Cortisolspiegel schnell nach oben. Abendroutinen wie für den Temperaturrhythmus vorgeschlagen können helfen, den Hormonspiegel am Abend niedrig zu halten. Auch helles Licht kann – zumindest im Tierversuch – die Cortisolausschüttung akut ankurbeln.

Fazit

Die oben genannten und eine Reihe weiterer Faktoren beeinflussen die zirkadiane Rhythmik – und damit die zeitliche Lage und Qualität unseres Schlafs. Eine Stabilisierung der Tagesrhythmik und einige einfache Tricks können helfen, diese Faktoren untereinander und den zirkadianen Rhythmus im Allgemeinen zu stabilisieren und so die Voraussetzungen für einen gesunden und erholsamen Schlaf zu schaffen.

Zum Schluss erlauben Sie mir noch einige Worte zum Schlafbedarf. Es konnte zwar in großen epidemiologischen Studien gezeigt werden, dass eine Schlafdauer von 6-8 h mit einer erhöhten Lebenserwartung korreliert, d.h. Menschen mit dieser Schlafdauer leben im Schnitt am längsten. Im Einzelfall kann das individuelle Schlafbedürfnis aber stark vom Durchschnitt abweichen. Einige Menschen brauchen 9-10 h Schlaf am Tag, um ausgeruht und fit zu sein, andere kommen mit 4-5 h problemlos aus. Das lässt sich kaum pauschalisieren, und die oben angesprochenen Daten zeigen: Mehr Schlaf ist nicht immer besser. Menschen mit hohem Schlafpensum sterben nämlich im Schnitt ebenfalls früher. Ein weiterer (in diesen Studien meist unberücksichtigte) Faktor ist der Chronotyp, also das zeitliche Fenster, zu dem wir individuell am besten schlafen. Frühe Chronotypen („Lerchen“) sollten früh zu Bett gehen und früh aufstehen, bei späten Chronotypen (den „Eulen“) ist das genau umgekehrt. Liegt der Schlaf außerhalb des individuell idealen Zeitfensters, fällt er weniger erholsam aus.

Ich rate deshalb insgesamt zu etwas Gelassenheit im Hinblick auf das persönliche Schlafziel. Versuchen Sie nicht auf Biegen und Brechen auf einen Schnitt von 7 oder 8 h täglich zu kommen! Horchen Sie in Sich: Wann werde ich müde, wann wache ich ohne Wecker und Stress normalerweise auf? Wie viel Schlaf brauche ich wirklich, um mich fit zu fühlen? Geistige Anspannung erzeugt Stress, was wiederum den Schlaf negativ beeinflusst. Haben Sie Ihren Rhythmus einmal gefunden, bleiben Sie dabei. Machen Sie ruhig Ausnahmen, aber finden Sie bald wieder zu Ihrer eigenen inneren Rhythmik zurück! Ihr Körper wird es Ihnen danken.